Leider ist es in vielen langjährigen Partnerschaften umgekehrt und heißt: „Muss statt Genuss“
„Wir kuscheln nur noch.“ So spielt es sich bei vielen Langzeitpaaren ab. Die Liebe ist noch da, aber der Sex ist verschwunden. Stress, Reizüberflutung, Selbstoptimierung und Ermüdung im Alltag – wie soll da erotische Spannung entstehen?
Meiner Erfahrung nach herrscht bei vielen Menschen allerlei Ratlosigkeit und Unwissenheit in erotischen Dingen. Und trotz mannigfaltiger Informationsmöglichkeiten dank Internet und Aufgeklärtheit vieler Frauen und Männer sind viele sprachlos, wenn es um Sex und Herz geht. Das erzeugt unbewusst oft Stress. Auch das Gefühl „nicht normal“ zu sein, macht uns Druck und erhöht unseren Kampf-Flucht-Modus (fight-or-flight), sprich unser Stresslevel.
Körpergewahrsein, Sinnlichkeit, spielerische Neugierde, Genuss – die wesentlichen Voraussetzungen für eine erfüllte Sexualität – sind vielen Menschen abhanden gekommen. Teilweise ging das Wissen darüber verloren, teilweise war es nie vorhanden, weil nicht gelernt oder nicht erforscht.
Sich miteinander entspannen und „Liebe machen“ genießen können. Sexualität auf eine Weise erleben, wie Sie sich das schon lange gewünscht haben. Die Liebe zum anderen und sich selbst spüren und sich innig miteinander verbinden. Sehnen wir uns nicht alle danach?
Auf der Suche nach der verlorenen Lust
In meinen Beratungen und Workshops erlebe ich immer wieder die Traurigkeit, über die für beide Seiten nicht befriedigende Sexualität. Der Sex in der Beziehung ist verloren gegangen – anfangs hatte das Paar viel Sex, aber im Laufe der Jahre kommt es nur noch selten dazu. Als Begründung für das nicht zufriedenstellende Liebesleben werden häufig folgende Schwierigkeiten genannt
- Einer der Partner will mehr als der Andere
- Das Paar glaubt, dem Durchschnitt an Sexaktivitäten, der (angeblich) in deutschen Betten wöchentlich stattfindet, nicht zu entsprechen
- Die Partner haben keine richtige Lust mehr auf einander, aber insgeheim eine große Sehnsucht nach Sex
Die Betroffenen sind nicht glücklich darüber, was sexuell läuft bzw. nicht läuft. Und es ist nur ein schwacher Trost, genug andere Paare zu kennen oder davon zu hören, dass es bei denen ähnlich ist. Wenn der berufliche und persönliche Stress unseres modernen Lebens überhand nimmt, wollen die meisten im Bett nur noch eins – schlafen.
Es gibt auch die absurde Überzeugung, dass der Sex in langjährigen Beziehungen zwangsläufig der Flaute unterliegt. Als sei es ein unumstößliches Gesetz, dass man sich nach einigen Jahren des Zusammenseins schicksalhaft im Bett langweiligen würde.
Sex ist etwas Besonderes
Es ist eine intensive Art sich lebendig zu fühlen. Er schafft Nähe und Verbundenheit auf körperlicher, emotionaler und energetischer Ebene mit dem geliebten Menschen oder sich selbst. Sex ist gesund und hält jung (Botox ade!). Man schaut sich danach anders an und man sieht auch anders aus – strahlender, blühender, glücklicher, entspannter, die Lebensenergie fließt wieder. Mittlerweile ist es mehrfach bewiesen: Sex im Allgemeinen (und Orgasmen im Speziellen) ist gesund.
Falsche Vorstellungen
Viele Menschen sind auch bereit für ihr Liebesleben etwas zu tun – langfristig gesehen, oft leider mit mäßigem Erfolg. Die meisten Paare plagen sich damit, wieder scharf aufeinander zu werden. Denn wir haben ein Bild vom idealen Sex in unseren Köpfen – und das deckt sich meist nicht mit dem, was wir erleben.
Das mediale Bild: Frauenzeitschriften und Männermagazine, Pornos und Werbung – suggeriert uns, dass der Hauptfeind einer lebendigen Sexualität die Langeweile sei. Und man mit genügend Abwechslung das eingerostete Sexleben wieder geschmiert bekomme (im wahrsten Sinne des Wortes). Keine Lust zu haben, wird als Makel gesehen („etwas stimmt nicht mit mir“) oder ein Eingeständnis von Versagen.
Hier hilft eine andere Betrachtungsweise, um aus dem Dilemma zu kommen: Viele Paare erleben ihre Sexualität wie folgt: Die Investition für den Sex ist zu hoch – der Aufwand übersteigt den Nutzen. Aber: Wer keine Lust hat, hat gute Gründe. Und wenn Ihr diese Gründe herausfindet, könnt Ihr etwas verändern. Dies ermöglicht Euch aus Eurem Liebesspiel Energie zu gewinnen, statt es als Anstrengung zu erleben.
Lustlosigkeit ist oft eine Leistungsverweigerung. Es ist wichtig, dass wir im gemeinsamen erotischen Spiel auftanken können, dann findet es auch wieder statt. Oft buchstabiert sich „keine Lust auf Sex“ in „keine Lust auf den Sex, den Ihr bekommen könnt“. Das was Ihr erlebt, genügt nicht, deshalb lasst Ihr es lieber ganz.
Es ist wie mit einem prall gefüllten Kinderzimmer voller Spielzeug, in dem sich das Kind langweilt. Die Lösung ist nicht, noch mehr Spielzeug zu kaufen, sondern dem Kind spielen zu lernen. Ebenso geht es sexmüden Paaren. Anstatt noch mehr Reize oder noch mehr vom Selben, geht es darum, sich spüren zu lernen und sich aufeinander zu beziehen und mit einander zu spielen. Dann wird der Sex wieder spannend.
Ein Lösungsweg ist, die Entwicklung der eigenen Sexualität – diese steht in Verbindung mit der Hinwendung nach innen – weg vom Außen. Das macht den Sex intim und weckt den Wunsch nach mehr.
Hinwendung nach innen statt Außenfokussierung
Durch die Außenfokussierung ist man verführt, sich selbst mehr und mehr zu optimieren – seine Figur, seinen Fitnesslevel, seine Jugendlichkeit, den Erfolg im Job, die Vorzeigbarkeit der Familie, das Aussehen korrigieren (Schönheits-OPs), seine Freunde vervielfachen, seine Selbstdarstellung zu inszenieren– Man macht sich zum Objekt und verlieren sich dadurch selbst.
Mit der Hinwendung nach innen gelingt es, den Körper wieder zum Mittelpunkt der Erfahrung und des Erlebens zu machen und ihn nicht als Mittel zum Zweck zu benutzen.
Von unserem Körper lernen und dadurch seine Vieldimensionalität wieder spürbar werden lassen. Im Mutterleib haben wir die Verbindung ausschließlich über unseren Körper erfahren. Und auch als Baby haben wir die Welt primär über körperliche Wahrnehmung – Berührungen, Fühlen, Spüren – erfasst, eine andere Kommunikationsebene hatten wir fürs Erste nicht. Unser Körper ist der Vermittler von Innen- und Außenwelt.
Und um wieder im Körper anzukommen, helfen so einfache Mittel wie der Atem, Bewegung und Achtsamkeit.
Hier eine einfache und wirksame Körperübung: Eine Hand auf den Bauch legen, tief aber sanft in den Bauch zu atmen – ein- und ausatmen – und hin spüren, wie die Hand sich mit jedem Atemzug hebt und senkt. Dabei wahrnehmen, wie fühlt sich das an? Was genau spüre ich dabei? Und wo überall kann ich den Atem in meinem Körper entdecken?
Dies ist nur eine von vielfältigen Körperwahrnehmungs-Möglichkeiten oder -Übungen, die Du selbst, in einer Gruppe oder mit Unterstützung in einer individuellen Sexualtherapie erfahren und anwenden kannst.
Let’s do it und damit „Genuss statt Muss“ erleben!
Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Ulrika Vogt
Ich arbeitete in einer eigenen sexualtherapeutischen Praxis in Köln und unterstützte Menschen dabei, ihren Körper kennenzulernen und sich darin „zuhause“ zu fühlen. Dabei ermutige und begleitete ich Menschen, ihre Sexualität (wieder) erfüllt, freudvoll und sinnlich zu erfahren und genussvoll und selbstbestimmt zu leben.
Jeder Mensch ist ein eigen- und einzigartiges Wesen durch seine subjektive Wahrnehmung und seine individuellen Bedürfnisse und Werte. Es ist wichtig, dass wir uns in den Mittelpunkt unserer Betrachtung, Beobachtung und Handlungsfähigkeit stellen, damit wir Mitgefühl für uns selbst, für die Anderen und für die Welt entwickeln können. Hier beginnt meine Arbeit mit Dir.