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Stressprävention für Kinder im Grundschulalter

Stress. Nicht nur wir Erwachsene leiden darunter. Auch immer mehr Kindern macht der Stress bereits im Grundschulalter zunehmend zu schaffen. Die Stresssymptome sind dabei genauso vielfältig und individuell wie die Bewältigungsstrategien. Die nachfolgenden Strategien sollen Kindern dabei helfen, in akuten Stresssituationen angemessen und gesundheitsförderlich zu reagieren.

Ob beruflich oder privat – über 60% der Erwachsenen in Deutschland erleben Stress. Anwendungsbezogene Ansätze zur Stressprävention oder zur Verbesserung der Stresskompetenz bei uns Erwachsenen gibt es dabei einige. Doch wie sieht es mit den Kleinsten unter uns aus – unseren Kindern? Denn auch Kinder leiden bereits im Grundschulalter unter Stresssymptomen.

Immer mehr von ihnen klagen über regelmäßige körperliche Beschwerden (Erschöpfungszustände, Schlafschwierigkeiten, Kopf- und Magenschmerzen), Nervosität und Unkonzentriertheit sowie über Appetit- und Lustlosigkeit als Folge von Schul-, Freizeit- oder Familienstress.

Bislang betrachten nur einige wenige anwendungsbezogene Ansätze das Stresserleben der Kinder. Einer davon ist das evidenzbasierte Programm „Bleib locker“ von Johannes Klein-Heßling und Arnold Lohaus (2012), welches vor allem eine kindgerechte Stressprävention und -bewältigung thematisiert.

Aufbau und Inhalte eines Stresspräventions-Trainings am Beispiel „Bleib locker“

Inhaltlich kennzeichnen die Aufklärung und Wissensvermittlung über die Entstehung und Entwicklung von Stress, die Kenntnis über potenzielle Stressreaktionen und Bewältigungsstrategien die Hauptthemen des Programms.

Die Kinder lernen auf spielerische Art und Weise, wie Stress entsteht, erkennen ihre individuellen Stresssituationen und -auslöser und können ihre eigenen Stressreaktionen wahrnehmen. Durch Selbstreflexion und das Mitteilen über das eigene Stresserleben erfahren die Kinder, dass sie mit ihren Problemen und Herausforderungen nicht alleine sind und sich mit anderen austauschen können (soziales Netzwerk).

Neben den oben genannten Bausteinen zum Verständnis und zur Verbesserung der individuellen Stressbewältigungs- und Handlungskompetenzen der Kinder, sollten zur allgemeinen Reduzierung der Stressbelastung selbstverständlich auch die Eltern hinzugezogen werden. Mit Hilfe des transaktionalen Stressmodells nach Lazarus (1966) lernen die Eltern die Entstehung von Stress und daran beteiligte Faktoren kennen. Sie werden für wiederkehrende Stresssituationen und -symptome ihrer Kinder sensibilisiert, indem sie sie anregen, über Probleme und Schwierigkeiten offen zu sprechen.

Wenn die Kinder merken, dass sie gehört und ernst genommen werden, erleichtert das den Zugang zum Kind.

Stressbewältigungsstrategien

Einen bedeutsamen Punkt im Stressprozess bilden die Bewältigungsstrategien (Copingstrategien), wobei zwischen problemlösenden / instrumentellen und emotionsregulierenden / palliativen Strategien unterschieden wird.

Problemlösende Strategien

Problemlösende Strategien setzen an der Bewältigung des Stressauslösers an. Ein Beispiel dafür wäre die Verbesserung des Zeitmanagements, indem sog. Zeitdiebe (das können Unterbrechungen bei den Hausaufgaben oder Lärmquellen wie ein offenes Fenster sein) aufgespürt und reduziert werden.

Emotionsregulierende Strategien

Emotionsregulierende Bewältigungsstrategien beeinflussen hingegen die Stressreaktion: So können den Kindern Atemübungen, Phantasiereisen, Progressive Muskelrelaxation, Kinder-Yoga oder die Lieblingsmusik helfen, sich abzulenken und zu entspannen.

Das Ziel ist, dass die Kinder Spaß haben und diese Strategien individuell, flexibel und situationsbezogen einsetzen und in ihren Alltag integrieren können.

Zwei Strategien sollen an dieser Stelle genauer vorgestellt werden, die die Kinder schnell und einfach in ihren Alltag aufnehmen und in akuten Stresssituationen anwenden können:

Indianerschrei

Diese kurze Atemübung dient als akute Stressbewältigungsstrategie, durch deren Anwendung die Kinder ihre Nervosität und Aggressionen abbauen, ihre Konzentrationsfähigkeit verbessern und ihre Probleme gelassener und entspannter bewältigen können.

Bei der Ausführung des „Indianerschreis“ sollen sich die Kinder aufrecht hinstellen, den Mund weit öffnen,  tief Luft holen und die ganze Kraft in den Schrei hineinstecken. Die Arme werden beim Schrei ganz weit auseinandergerissen. Der „Indianerschrei“ ist jedoch ein lautloser Schrei, niemand wird ihn hören! Die Kinder können sich aber vorstellen, wie der Schrei klingt, bis wohin er reichen und von welcher Art der Schrei sein soll: Ist es eher ein Schrei, wie ihn Tarzan im Dschungel macht oder wie er bei King-Kong, dem Riesengorilla, klingt.

Im Anschluss an diese Übung ist es hilfreich, zu erfragen, wie den Kindern der Indianerschrei gefallen hat, wie er aus ihrer Sicht geklungen hat und wann ihnen der Schrei bei Stress helfen kann.

Sprung in die Wachheit

Der „Sprung in die Wachheit“ ist ebenfalls eine kurzfristige Bewältigungsstrategie, welche durch Atem- und Bewegungsübungen den Stress der Kinder reduzieren und die Spannungsregulation verbessern soll.

Die Kinder stellen sich so hin, dass sie mit ausgestreckten Armen ausreichend Platz haben. Der Sprung hilft den Kindern, wieder fit und wach zu werden. Wichtig ist, einen guten und festen Stand auf dem Boden zu haben. Die Kinder schließen die Augen und achten auf ihren Atem, indem sie sich ganz auf ihren Bauch unterhalb des Bauchnabels konzentrieren, dort all ihre Kraft sammeln und sich auf den Sprung vorbereiten. Es wird von vier rückwärts gezählt und bei null springen die Kinder nach oben, reißen die Arme und Beine weit nach außen, sodass der Körper ein X bildet. Die Augen werden ganz weit aufgerissen und die Kinder schreien beim Sprung laut „HAAA“!

Nach der Übung sollen sich die Kinder Situationen überlegen, in denen sie den „Sprung in die Wachheit“ anwenden können.

sprung

Fazit: Wie Kinder auf Stress reagieren, beruht auf angeborenen und durch Lernprozesse veränderten Reaktionsmustern. Ihnen liegen automatisierte (unbewusste) und verfestigte Denk- und Gefühlsmuster zugrunde. Die Verhaltensmuster der Kinder werden mit der Zeit zur Gewohnheit.

Wenn sich Kinder an eine Stresssituation nicht erfolgreich anpassen und diese bewältigen können, ist, wie bei uns Erwachsenen auch, die Befriedigung der Bedürfnisse bedroht. Dies geht oft mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und des Verlustes der Situationskontrolle einher. Zur Stressbewältigung und zur kurzfristigen Bedürfnisbefriedigung reagieren Kinder in solchen Situationen oftmals negativ und mit destruktiven Copingstrategien (z. B. mit Wut und Ärger). Solange ihnen diese negativen Reaktionsmuster jedoch nicht bewusst sind, werden sie bei jeder erfolglosen Anpassung negativ reagieren.

Erst die Bewusstmachung ihrer Verhaltensweisen bewirkt den Startschuss für eine Veränderung: Die bewusste Wahrnehmung der Stressreaktionen hat zum Ziel, Kognitionen und Emotionen zu identifizieren, die mit Stress einhergehen. Der „Indianerschrei“ und der „Sprung in die Wachheit“ stellen neben vielen anderen Techniken positive Herangehensweisen dar, wie Kinder mit stressigen Situationen erfolgreich umgehen können.

Wenn die Kinder regelmäßig positive Verhaltensweisen üben, werden sich diese verfestigen, nach und nach die negativen Gewohnheiten verdrängen und deren Platz bei der Stressbewältigung einnehmen.


Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Steffi.

steffi

Ich bin Psychologin und absolviere zur Zeit eine Weiterbildung zum Berater für Stressmanagement. Alles rund um die Themen Achtsamkeit, Resilienz und Meditation finde ich wahnsinnig spannend. Vielleicht trainiere ich deshalb auch so unglaublich gerne Karate – neben Disziplin und Respekt ergänzen die obigen Bereiche das Karate-Training nämlich ganz wunderbar.

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Literatur:
Klein-Heßling, J. & Lohaus, A. (2012). Stresspräventionstraining für Kinder im Grundschulalter. Göttingen: Hogrefe Verlag.