Sowohl im Privat-, als auch im Berufsleben spielt die Steigerung von Produktivität eine zentrale Rolle. Stress ist vorprogrammiert. Das Lebenskonzept Slow Living kann Abhilfe schaffen.
Ein achtsames und genussvolles Leben führen? Schneller denken, schneller lesen, schneller arbeiten lautet anstatt dessen die Devise. Kein Wunder also, dass Burnout zur Volkskrankheit geworden ist und das altbekannte „Ich habe Stress“ zum guten Ton gehört. Zum Leistungsdruck im Beruf, kommen Deadlines und ein voll gepackter Terminkalender. Private E-Mails werden während der Mittagessen überflogen und direkt beantwortet.
Scrollt man durch Social Media Kanäle zeichnet sich jedoch eine entgegengesetzte Bewegung ab. Hashtags wie #slowliving #slowlivingmovement oder #slowlivingrevolution propagieren einen Lebensstil abseits von Eile, Stress und übermäßigem Konsum.
Bücher und Studien über das entschleunigte Leben versprechen mehr Zeit, Glück und Erfolg. Wir haben den Lifestyle unter die Lupe genommen und zeigen, wie Du ihn in die Praxis umsetzen kannst.
Was ist Slow Living?
Das Konzept Slow Living kommt aus dem Englischen und bedeutet wörtlich übersetzt „langsames Leben“. Menschen in Hängematten, Menschen, die es sich in einer spärlich eingerichteten Wohnung gemütlich machen und stundenlang Tee trinken tauchen da vor dem inneren Auge auf.
Dabei bedeutet Slow Living keinesfalls, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen.
Kulturwissenschaftlerin Wendy Perkins und der Politologe Geoffrey Craig haben sich in ihrer Analyse „Slow Living. Langsamkeit im globalen Alltag“ mit der Bedeutung der Bewegung auseinandergesetzt. Zwar spielt die Entschleunigung eine elementare Rolle, viel wichtiger ist jedoch die Wahrnehmung von Alltag und Gegenwart:
„Für uns ist es vielmehr ein ebenso sorgsamer wie aufmerksamer Umgang mit dem Alltagsleben – einschließlich seiner Geschwindigkeit und Komplexität, seines Nervenkitzels und seiner Routine –, ein Versuch, mit den verschiedenen täglich erlebten Zeitformen fertig zu werden. Vor allem aber ist es der Versuch, ein bedeutungsvolles, zukunftsfähiges, überlegtes und genussvolles Leben in der Gegenwart zu führen.“
Wie ist die Slow Living Bewegung entstanden?
Slow Living ist eine Erweiterung der Slow Food Bewegung. Letztere entstand im Jahre 1980 in Italien. Slow Food entwickelte sich als Gegenbewegung zum Fast Food und richtet sich dabei bis heute gegen das Überangebot und die Schnelllebigkeit in der globalen Lebensmittelindustrie.
Die Slow Food Bewegung unterstützt dem entgegen die regionale Gastronomie und den regionalen Handel. Fair produzierte Produkte spielen in diesem Zusammenhang eine ebenso wichtige Rolle, wie das genussvolle und achtsame Essen.
Wie funktioniert Slow Living in der Praxis?
Ziel dieses Lebensstils ist Entschleunigung und damit die Möglichkeit, Routinen bewusst zu erleben, den Alltag zu genießen und „überlegt“ zu gestalten. Einfach in der Theorie, schwer in der Praxis. Das Problem sehen Perkins und Geoffrey im Wertesystem der Gesellschaft.
„Wer sich dazu bekennt, dass Langsamkeit bei der Arbeit oder im privaten beziehungsweise öffentlichen Leben etwas Wertvolles ist, vertritt eine Position, die im Gegensatz zum herrschenden Wertesystem der heutigen Zeit steht.“
Besonders im Beruf fällt es vielen Menschen schwer, bewusst auf Stress zu verzichten. Bei zunehmendem Arbeitsaufkommen immer schneller und fehlerfrei zu arbeiten, funktioniert auf Dauer nicht. Und doch wird es erwartet. Immerhin ist das Ziel einer intakten Wirtschaft soviel wie möglich, so schnell wie möglich, so günstig wie möglich zu produzieren. Wie schaffen wir es also ein entschleunigtes Leben zu führen, ohne unter Druck zu geraten?
Glaubenssätze und Mindset verändern
Um den von Hektik geprägten Alltag nachhaltig zu entschleunigen ist es wichtig, zuerst Werte und Glaubenssätze zu hinterfragen und zu verändern. Glaubenssätze sind in Deinem Unterbewusstsein verankert, bestimmen Dein Denken und Deine Entscheidungen.
Sie entstehen bereits während Deiner Kindheit und sind sowohl durch eigene Erfahrungen, als auch durch den Einfluss von Eltern, Verwandten, Lehrern und Erziehern geprägt. Mit zunehmendem Alter haben Medien, Politik und Arbeitgeber einen wesentlichen Anteil daran, was Du denkst und wie Du handelst.
Es gibt positive Glaubenssätze, die Dich im Leben voranbringen – sowohl was das Berufs-, als auch das Privatleben betrifft. Negative Glaubenssätze dagegen, hindern Dich in deiner Entwicklung. Sie sorgen dafür, dass du Dich niedergeschlagen fühlst und Dir vieles nicht gelingt. Sei es, ein glückliches, stressfreies Leben zu führen, erfolgreich in deinem Job zu sein oder eine erfüllende Beziehung zu führen.
Um unseren Alltag zu entschleunigen und uns somit ein stressfreies, genussvolles Leben zu führen, ist es sinnvoll vorerst folgende Fragen zu stellen:
- Was genau stresst mich im Alltag?
- Welche Situationen im Berufs- und/oder Privatleben lösen negative Gefühle in mir aus?
- Was könnte ich anders machen?
- Was hindert mich daran, etwas an meinem Alltag zu ändern?
Schreibe alles was Dir dazu einfällt auf ein großes Blatt Papier. Anstatt einer Liste oder einem Text, indem du deine Erlebnisse schilderst, kannst du deinen Gedankengang auch in einem Mind-Map festhalten. So identifizierst du Schritt für Schritt negative Glaubenssätze. Dieser Prozess kann mehrere Stunden oder sogar Tage dauern und ist ein wichtiger Schritt um dein Mindset nachhaltig zu verändern.
11 Glaubenssätze, die für Hektik und Stress im Alltag sorgen
Glaubenssätze, die dich daran hindern Slow Living in der Praxis umzusetzen und ein selbstbestimmtes, stressfreies Leben zu führen sind häufig an Geld und Leistung gekoppelt. Sehen wir uns also an, welche Glaubenssätze Stressfaktoren im Alltag darstellen:
- Ohne Fleiß, kein Preis.
- Ich muss hart arbeiten, um Geld zu verdienen.
- Um Geld zu verdienen, muss ich etwas tun, was mich nicht erfüllt.
- Wenn ich hart gearbeitet habe, kann ich mir etwas leisten.
- Von nichts kommt nichts.
- Ich bin nicht gut genug.
- Geld wächst nicht auf Bäumen.
- Ich habe kein/nie genug Geld.
- Wenn ich im Lotto gewinnen würde, wären alle meine Probleme gelöst.
- Ich freue mich schon wieder auf das Wochenende.
- Ich darf keine Fehler machen.
Negative Glaubenssätze positiv formulieren
Konntest Du einen oder mehrere negative Glaubenssätze identifizieren, geht es im nächsten Schritt darum, diese nochmals kritisch zu hinterfragen. Frage Dich, ob der Glaubenssatz wirklich auf Dich zutrifft, ob er immer und auf jeden zutrifft und wie dein Leben ohne ihn aussehen würde.
Manche Glaubenssätze kannst du mit dieser Methode als „unsinnig“ entlarven. Andere negative Glaubenssätze, die nach wie vor eine wichtige Rolle für dich spielen, kannst Du dagegen positiv formulieren. Wichtig bei der Formulierung ist, NICHT – und KEIN – Sätze zu vermeiden.
Beispiel
Negativ: Ich muss hart arbeiten, um Geld zu verdienen
Positiv: Wenn ich mache was ich liebe, kommt der Erfolg von allein.
Falsch wäre: Ich muss nicht arbeiten, um Geld zu verdienen.
Positive Glaubenssätze manifestieren
Der letzte Schritt besteht darin, die neuen positiven Glaubenssätze zu verinnerlichen. Eine übersichtliche Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie du neue Glaubenssätze manifestieren und negative Überzeugungen loswerden kannst, zeigt Moritz auf seinem Blog Selbstbewusstsein stärken.
Es braucht einiges an Disziplin und Durchhaltevermögen um negative Glaubenssätze aufzulösen. Um Einstellungen wie „Ich muss hart arbeiten, um Geld zu verdienen“, aus Deinem Mindset zu verbannen, kann einiges an Zeit in Anspruch nehmen. Hier ist Geduld gefragt. Hast Du es aber geschafft negative Glaubenssätze aufzulösen, steht einem entschleunigten Alltag (fast) nichts mehr im Weg.
Bewusst Routinen schaffen und Langeweile zulassen
Menschen sind Gewohnheitstiere. Ein routinierter Alltag ist ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens. Unser Mindset bestimmt, wie wir Routinen im Alltag gestalten, ob wir uns glücklich oder deprimiert fühlen. Das richtige Mindset ist demnach essentiell um unseren Alltag zu entschleunigen. Eine veränderte Einstellung gegenüber Arbeit, Geld und Überstunden bedeutet allerdings nicht automatisch, dass wir uns bewusst Zeit nehmen, beispielsweise früher nach Hause zu gehen.
Um das Slow Life im Alltag auch wirklich umzusetzen geht es im nächsten Schritt darum, an festgefahrenen Routinen zu arbeiten, bewusst Freiräume zu schaffen und neue Gewohnheiten zu etablieren. Slow Living lässt sich in diesem Zusammenhang auf alle Lebensbereiche übertragen – sei es auf die Ernährung, das Privatleben oder den Arbeitsplatz. Im folgenden haben wir Dir einige Tipps zusammengestellt, die Dir helfen Deinen Alltag zu entschleunigen.
Slow Living: 22 Tipps, um den Alltag zu entschleunigen
- Starte entspannt in den Tag.
- Nimm Dir Zeit auf den Weg zur Arbeit.
- Versuche in jedem Moment, das Besondere zu sehen.
- Gehe regelmäßig spazieren und achte ganz bewusst auf Deine Umgebung und die Menschen, die dir entgegen kommen
- Häufig überfordert die Hektik und das Überangebot in Einkaufscentern. Kaufe deshalb öfter im Reformhaus, einem verpackungsfreien Supermarkt oder auf dem Wochenmarkt ein. So tust du nicht nur dir, sondern auch der Umwelt etwas Gutes.
- Versuche Dinge selbst herzustellen, die du normalerweise fertig kaufen würdest. Das kann Suppenbrühe aus frischem Gemüse sein, selbstgemachte Kosmetik oder ein Dekogegenstand für deine Wohnung.
- Bereite Mahlzeiten aus frischen Zutaten zu.
- Nehme Mahlzeiten bewusst ein – ohne Computer, Smartphone oder Fernseher.
- Lerne „Nein“ zu sagen. So legst Du den Fokus auf die Dinge, die dich wirklich voran bringen. Du reduzierst Stress und steigerst gleichzeitig deine Produktivität.
- Mache während der Arbeitszeit immer zur gleichen Uhrzeit Pausen.
- Erledigst du während der Arbeit gerade eine bestimmte Aufgabe, schließe dein E-Mail Postfach und schalte Push-Notifications auf dem Desktop ab.
- Lege eine bestimmte Zeit fest, in der du deine E-Mails bearbeitest – sowohl in der Arbeit als auch Privat.
- Nutze Social Media Kanäle bewusst: Entfolge Accounts, die dir keinen Mehrwert bieten.
- Trenne dich von allem, was du nicht mehr brauchst.
- Wohnkonzepte wie Hygge oder Minimalismus sorgen für mehr Ruhe und Gemütlichkeit in den eigenen vier Wänden.
- Lege Dir ein meditatives Hobby wie beispielsweise Stricken, Malen, Yoga oder Gärtnern zu.
- Nehme Dir mindestens einmal in der Woche eine Auszeit, in der du überhaupt nichts sinnvolles tust und dich einfach nur langweilst.
- Beginne mit einem Tagebuch: Ein schönes Ritual, um den Tag ohne Smartphone zu beenden. Schreibe in Stichpunkten auf, was dich glücklich gemacht hat und wofür du dankbar bist.
- Versuche doch einmal, dir am Wochenende nichts vorzunehmen, aufzustehen und einfach das zu tun, was dir gerade in den Sinn kommt.
- Nehme dir auf Reisen nicht zu viel vor. Schlendere in einer Stadt beispielsweise einfach planlos durch die Straßen – sicherlich wirst du viel entdecken.
- Zeit für dich ist wichtig. Nimm deshalb nicht jede Einladung und Verabredung an, wenn du ohnehin einen vollen Terminkalender hast.
- Abstand gewinnen: Manche Beziehungen stellen einen Ballast für dich dar und setzen dich unnötig unter Stress. Höchste Zeit, sie aufzugeben.
Um unsere Tipps im Alltag umzusetzen und um Dich in stressigen Zeiten an Deine Vorsätze zu erinnern, gibt es die Liste hier noch einmal zum kostenlosen Download. Einfach das PDF herunterladen, ausdrucken oder auf dem Smartphone speichern.
Slow Living: Drei Bücher für einen entschleunigten Alltag
Du möchtest noch mehr über Slow Living erfahren? Diese Bücher geben Dir weitere Denkanstöße und Inspirationen für einen entspannten, stressfreien Alltag.
Slow Living. Langsamkeit im globalen Alltag von Wendy Perkins und Geoffrey Craig, Rotpunktverlag
Die kulturwissenschaftliche Analyse zeigt, welche Rolle Globalisierung in der Slow Living Bewegung spielt. Auch wenn die Studie kein Ratgeber ist, liefert sie Denkanstöße und vermittelt ein besseres Verständnis für den entschleunigten Lebensstil. Perfekt, wenn man sich detailliert mit dem Thema auseinandersetzen möchte.
Slow. Einfach Leben von Brooke McAlary, Bastei Lübbe Verlag
Das liebevoll gestaltete Buch mit schönen Illustrationen und Denkanstößen für den Alltag hilft uns, Schritt für Schritt wieder Platz für das zu schaffen, was wirklich wichtig ist.
Slow. Die Entscheidung für ein entschleunigtes Leben von Winfried Hille, Gütersloher Verlagshaus
Der Chefredakteur des Magazins bewusster leben zeigt, wie man Langsamkeit im Leben zulässt und bewusst Freiräume schafft. Anhand eigener Erfahrungen und Beispielen aus der Slow – Praxis liefert Winfried Hille Inspirationen und Tipps für ein entschleunigtes Leben.
Text: Natalie Grolig